Will meine Seele baumeln?
oder will Sie vielleicht das?
Spannkraft!
Einfach mal entspannen, das ist doch ganz normal, wenn ich arbeitsreiche, anstrengende Zeiten hinter mir habe. Spannend ist aber die Frage, ob mehr Entspannung im Baumeln entsteht oder in einer erholsamen und doch ein wenig fordernden Aktivität wie Wandern, Schwimmen, meinem Hobby oder kulturellen Interessen nachgehen. Um zu entspannen und gut zu schlafen brauchen wir eine gewisse körperliche Anstrengung.
Wie ist das nun mit der Seele? Will sie durchhängen wie oben die beleibte Katze in der Hängematte? Ja kann sie überhaupt durchhängen und baumeln? Verstehe ich die Seele als Bewusstsein des Menschen, als die Fähigkeit zu denken, zu fühlen und zu wollen, dann komme ich zu dem Schluss, dass die Seele ebenso wie der Körper lebendig bewegt sein will, Neues erlernen will, dass die Seele eines Menschen sich im Stillstand nicht wohlfühlt, sondern in der Ausdehnung zu neuen Kenntnissen und Möglichkeiten und in der Begegnung, im Austausch beheimatet ist.
Seht euch gern einmal folgendes Video an. Dieses Eiskunstlaufpaar gewann 2018 die Goldmedaille. Es ist eine unglaublich schöne Kür mit sehr harmonischem Zusammenspiel beider Partner. Aus dem Nichts erwächst diese Kunst nicht. Spannkraft, körperlich wie seelisch, ist sicher notwendig und dies über Jahrzehnte, um eine so zentrierte, elegante und luftig leicht anmutende Bewegungskunst hervorzubringen.
Nicht nur bei sportlichen Aktivitäten ist Spannkraft vonnöten, wir benötigen sie als mentale oder vom Bewusstsein ausgehende Kraft bei fast allen Tätigkeit, sei es im Beruf oder Zuhause. Wie sehr wir für unsere Lebensführung Qualitäten wie Aufmerksamkeit, Konzentration, Ausdauer, Disziplin, Beobachtungsgabe bedürfen und natürlich zur Anwendung bringen, bemerken wir oftmals erst, wenn wir vollkommen erschöpft sind, einen Burn-out erleiden und diese mühsam erst wieder erlernen müssen.
In ganz besonderem Maße verlangt uns das Lesen und gerade das Lesen von anspruchsvoller Literatur die Fähigkeit von Aufmerksamkeit, Ausdauer und seelischer Spannkraft ab.
Lesen von spirituellen Schriften wie dem Neuen Testament, der Bhagavadgita, Texten von Sri Aurobindo oder Rudolf Steiner, um nur einige zu nennen, kann als eine richtiggehende Kunst bezeichnet werden. Mit unserem gewohnten intellektuellen Denken sind diese Schriften nicht zu verstehen und unser Gemüt sagt schnell, „das verstehe ich nicht, das ist zu schwierig.“ Wiederholte Hinwendung und Forschergeist, ein Zurückweichen unseres schnell wissenwollenden Verstandes, eine ruhige Besinnung auf den Autor der Schrift und die Aussagen, die er tätigt, führen uns auf langsame Weise die Inhalte und auch eine Empfindung zu diesen Inhalten näher.
Der Dokumentarfilm „Die Kür ihres Lebens“ (Regie: Gerhard Schick, Land: Deutschland, Jahr: 2021, Herkunft: BR) erzählt den Weg der beiden Eiskunstläufer Aljona Savchenko und Bruno Masso zu ihrem Olympiasieg. Er beginnt vier Jahre vor den Olympischen Spielen 2018 und erzählt die Karriere dieser beiden charakterlich völlig unterschiedlichen Personen. Aljona Savchenko und Bruno Massot finden mühsam im harten Training zusammen und erreichen mit einer künstlerisch wie athletisch einzigartigen Kür den Olympiasieg.
Ab Minute 45:52 des Films offenbart der Trainer Alexander König einen interessanten Zusammenhang über einen entscheidenden Hintergrund des Erfolges:
„Der Jeff hat die Musik gefunden, vorgeschlagen. Ich selbst habe mich dann gleich auch an diesen Dokumentarfilm erinnert, die Erde von oben betrachtet. Wir wollten einfach unsere Erde in den Mittelpunkt stellen, dass es keine zweite Erde für uns Menschen gibt. Dass wir uns alle einmal darauf ein bisschen besinnen und nicht so alles auszubeuten und so zu tun, als wenn es keine Generation mehr nach uns gibt. Das wollten wir mit dieser Kür erzählen. Das hat uns auch stark gemacht, dieser Gedanke. Und wenn du dann so arbeitest täglich und du von diesem Gedanken geleitet wirst, dann kommen die Ideen ganz von selber: Schau doch mal da hoch in den Himmel oder so kleine Gesten des Mitnehmens, des sich Drehens, alles das, was unser Planet ja auch beinhaltet. Und das fließt dann so rein in den täglichen Ablauf des Trainings und es beflügelt ungemein. Also gib der Sache ruhig eine große Idee und du schaffst die kleinen Schritte spielend.“
Es war also der groß angesetzte Gedanke führend, die Erde und die Verantwortung des Menschen für diese in den Mittelpunkt der Kür zu stellen. Mit dieser Idee im Zentrum und aus ihr heraus wurden Ablauf und Bewegungsformen der Kür konzipiert. Ist der von Alexander König aus der Erfahrung gesprochene Satz nicht sehr weisheitsvoll:
„Also gib der Sache ruhig eine große Idee und du schaffst die kleinen Schritte spielend.“