Ernährung und Beziehung

Wir haben mehr Nahrung als Hunger

von | Aug. 22, 2025 | Artikel, Ernährung und Beziehung, Zukunftsgestaltung | 0 Kommentare

Die Internistin Giulia Ciccarelli geht unseren ernährungsbedingten Zivilisationskrankheiten auf den Grund 

In der ansprechend gestalteten Parkanlage
von Comano Terme, Trentino, fanden sich am
19. August an die 200 Menschen ein, um die
Internistin Giulia Ciccarelli im Gespräch mit
dem Journalisten Alberto Fausti zum Thema
„Medicina in Cucina“ zu hören. Dass das
Interesse an gesunder Ernährung und einem
Verständnis zu Gesundheitsfragen gerade im
Hinblick auf die unterschiedlichsten
Ernährungsorientierungen unserer Zeit groß
ist, zeigte sich auch in den vielen an die
Autorin gerichteten Fragen aus dem Publikum.

Frau Ciccarelli sprach gut nachvollziehbare
Erklärungen zu den heute herrschenden
Wohlstandskrankheiten aus. So sei es
durchwegs günstig, möglichst unbehandelte,
nicht industriell verarbeitete Nahrungsmittel
zu essen, denn genau letztere erzeugen in uns
ein metabolisches Ungleichgewicht. Ihr
ärztlicher Aufenthalt in Tansania zog eine
wesentliche Erkenntnis nach sich: Zu ihrem
Erstaunen litten die Menschen dort an den
gleichen Zivilisationskrankheiten wie die
Europäer, allerdings erst, seit es Geschäfte
gab, in denen Kräckers, Kekse, gezuckerte
Getränke und Konsorten dort angeboten
wurden.

Es stellte sich die Frage, ob sich denn unsere Großeltern gesünder ernährt hätten? Das sah Frau Ciccarelli differenziert, einerseits ja, da sie noch weniger verarbeitete und raffinierte Nahrungsmittel aßen, jedoch auch mit Weißmehl und raffiniertem Zucker arbeiteten. Heute würden wir Menschen mehr über die Ernährung und ihre Wirkung im Körper wissen, aber, so meinte die Ärztin, wir seien in einer seltsamen Phase der Kultur angelangt: Unsere Ernährung hat sich sehr schnell gewandelt, erst seit etwa der Mitte des letzten Jahrhunderts. Auffallende Symptome wie Kopfschmerz, Schlafstörungen, anhaltende Müdigkeit, Übergewicht, Bluthochdruck und Autoimmunerkrankungen seien unter anderem Zeichen dafür, dass das veränderte Essverhalten nicht mit unserem Körper und dessen Vorgängen zusammenpasst. Einfach und anschaulich stellte sie dar, wie schnell die Leber in ihrer entgiftenden und aufbauenden Arbeit überfordert und die natürliche Darmtätigkeit gestört wird durch die industriellen Veränderungen der Lebensmittel.

Die Tatsache, dass in den meisten verarbeiteten Lebensmitteln ein Zuviel an Zucker oder ein Zuviel an Salz enthalten ist – erstaunlicherweise in salzigen Lebensmitteln wie Fertigsuppen und Chips auch Zucker und in süßen auch Salz, alles, um den Geschmack zu verstärken – sah sie als grundlegendes Problem, mit dem unser Körper nicht fertig wird. So erstaunte auch alle Zuhörer die Feststellung, dass in einem Fruchtjoghurt 3 bis 4 Teelöffel Zucker enthalten sind.

Ausführlich ging sie auf die Funktion des Darms und des Mikrobioms ein, welches sich aus Milliarden von Bakterien zusammensetzt. „Wir haben naturgegeben mehr Bakterien als Zellen“ so ihre Aussage und Hinweise, wie wir unser Mikrobiom gesund erhalten eben durch naturbelassene Nahrungsmittel, die auch reich an Ballaststoffen sind.

Es scheint nach ihrer Feststellung das Übermaß an angebotenen Nahrungsmitteln zu sein, hier ein Snack, dort ein Proteinriegel, da ein Kuchen oder ein Eis mit einer Freundin…, das uns Zeitgenossendas Leben und uns selbst schwer macht.

Wir haben mehr Nahrung als Hunger, so eine Feststellung, die sich mir besonders anschaulich einprägte. Ebenso die Tatsache, dass wir zwar in unserer Zeit viele Nahrungsmittel im Angebot haben, sie uns jedoch nicht unbedingt optimal nähren, was sich an häufigen Mangelerscheinungen von Magnesium, Eisen etc. zeige.

In diesem Zusammenhang erklärte Frau Ciccarelli die Vorzüge des Vollkorngetreides, das sie sehr würdigte, indem sie die vollwertige und faszinierende Struktur des Getreidekorns erklärte.

Dass die Ärztin Ciccarelli sowohl leidenschaftliche Ärztin als auch Köchin ist, stellte sie schließlich bei der Beantwortung der vielen Fragen aus dem Publikum unter Beweis. Ob es sich um den Verzehr von Eiern, Fragen zu Kuhmilch, zu Zöliakie, zu eisgekühlten Getränken handelte, man hatte als Zuhörer den Eindruck, hier ein fachkundige Person vor sich zu haben, die Zusammenhänge von Ernährung und körperlichen Reaktionen ohne Strenge und Verbote darlegte, aber als Angebot, den Weg zu einer bewussteren, freudigeren und gesünderen  Ernährungskultur einzuschlagen.

Mit einem herzlichen Dank und Interesse, das viele bewegte, ihr Buch „Medicina in cucina“ zu erwerben und mit einer persönlichen Widmung durch die Ärztin versehen zu lassen, gingen die Menschen nach Hause. Mein Eindruck war, nachdenklich, angeregt, ihre Ernährungsgewohnheiten überdenkend. Zurück zum Einfachen innerhalb der saisonalen und regionalen Vielfalt. Es ist sehr zu würdigen, dass es Ärzte wie Frau Ciccarelli gibt, die den Gesundheitsproblemen unserer Gesellschaft an der Basis auf den Grund gehen. Und dabei die Freude an der wunderbaren Möglichkeit des Kochens und Essens in ein gebührendes Licht heben.

Hier ein kleines Video über die Arbeit von Frau Ciccarelli, leider nur auf Italienisch:

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