#6217
Maria
Administrator

    Lieber Stefan,

    zu deiner Anmerkung bezüglich des Pasolini-Filmes und insbesondere der Stelle, an der Christus spricht „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert…..“ (im Film Min. 35:04 – 35:44) (Mt 10, 34 – 39) habe ich nachgedacht. Ich lese dann die Stelle, lasse sie mehrere Minuten auf mich wirken und wiederhole diese meditative Betrachtung mehrere Tage. Dabei habe ich mir auch die Frage gestellt, was will Jesus ausdrücken, wenn er beispielsweise sagt „… des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein?“

    Ich könnte mir vorstellen, dass mit dem „Schwert“ eine Art Unterscheidungsfähigkeit oder eine Konzentration gemeint sein kann in dem Sinne, dass wir lernen, welche Erscheinungen, Gefühle etc. himmlischer, geistiger und unvergänglicher Natur sind und welche dagegen vergänglich und irdisch sind. Also welche uns eher lösen und befreien und welche uns binden und in der Entwicklung nicht vorwärtskommen lassen. Ganz geheimnisvoll wirkt das Wort von den Hausgenossen, ich denke, es könnte damit auch die allerinnerste genetische Veranlagung gemeint sein, aus der wir uns meist am schwersten befreien können. Um nur ein Beispiel zu nennen: Werden uns Menschen von klein an Schuldgefühle eingeimpft, dann ist es alles andere als leicht – wenn etwas nicht günstig im Leben verläuft – die Situation frei von solchen Gefühlen, objektiv zu betrachten und wieder vorwärtszugehen.

    Ich weiß nicht, ob du dich mit der Bhagavadgita mal beschäftigt hast. Da tritt auch so eine Situation ein, dass der „Held“, Arjuna, verzagt, weil er auf dem Kampffeld steht und nun sieht, er muss gegen seine Verwandten ankämpfen und sie töten. Krishna unterweist Arjuna dann tiefgründig im Yoga und auch da wird die Unterscheidung zwischen himmlischen und vergänglichen Werten herausgestellt und Arjuna weiß zum Schluss, dass er nun kämpfen wird.

    Ich sehe es so, dass wir mit spirituellen Schriften anders umgehen müssten als mit einem Roman oder Zeitungsartikel. Unser Intellekt begreift sie erst mal nicht und sie brauchen wiederholte meditative Hinwendung.

    Eine Stelle im Film, die mir wie verwandt zu dieser von dir herausgegriffenen erscheint, ist diese:
    Johannes spricht zu Christus: „Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen mit dir reden. „ Christus: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Siehe, das sind meine Mutter und meine Brüder. Denn jeder, der den Willen des himmlischen Vaters tut, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter.“ (Min 56:40 – 58:27) (Mt 12, 46 – 50)
    Diese Stelle ist in meinen Augen ungemein eindrücklich gefilmt. Die Mutter Jesu blickt voller Hoffnung und Liebe auf ihren Sohn, erfährt dann diese Worte, blickt zu Boden und erhebt bald ihren Blick voller neuer Hoffnung und Glaubenskraft wieder, so als würde sie den Gehalt der Worte erahnen.
    Zu Pasolini habe ich in Bezug auf den Film nochmals nachgelesen. Er erschien ja 1964 und verblüffte die Menschen, vor allem auch Personen der Kirche. Denn Pasolini bezeichnete sich als Atheisten und gab an, er habe sich ganz in das Fühlen eines Gläubigen hineinversetzt und das mit unverfälschten Zitaten aus den Evangelien zum Ausdruck bringen wollen. Ich denke, deshalb wirkt der Film auch so intensiv, du meintest ja, fast zu intensiv. Ich finde, man muss ihn ja auch nicht in einem Stück ansehen, so wie ich das mit dem Film „Was wollte Jesus von Nazareth wirklich?“ auch gemacht habe.
    Lieber Gruß, Maria