Ernährung und Beziehung

Eine italienisch-kulinarische Reise

von | Nov. 1, 2024 | Ernährung und Beziehung | 1 Kommentar

Was kann das sein, eine italienisch-kulinarische Reise?
Eine Gourmetreise von Ristorante zu Ristorante ?
Nein, das sollte es nicht werden.

Es war ein sehr spontanes Projekt von acht Frauen, die sich an einem goldenen Herbsttag im Oktober auf den Weg machten. Verona und Umgebung war das erste Reiseziel. Alle Teilnehmerinnen sind im Küchenteam der spirituellen ökologischen Hochschule Naone im Trentino tätig und arbeiten dort an der Entwicklung einer gesundheitsförderlichen und ästhetischen Ernährungskultur.
Was unsere Arbeit so interessant gestaltet, ist die Tatsache, dass nicht nur für Studiengäste gekocht wird, sondern das gesamte Feld der Ernährung ein lebendiges Forschungsfeld darstellt. Geforscht, erprobt und vertieft wird, wie Lebenskräfte innerhalb der Nahrungszubereitung und des Essens aufgebaut werden. So ist die Küche der Hochschule eine Forschungsküche im wahrsten Sinne des Wortes.

Impulsgeber dieser heilsamen Ernährung ist der Autor und spirituelle Lehrer Heinz Grill. Als grundlegenden Aspekt einer gesunden und bewussten Ernährung sieht er die Beziehungsebene, die der Einzelne zu den Nahrungsmitteln, zu ihren Erzeugern, zum Zubereitungsprozess, zur Gestaltung eines Gerichtes und schließlich zum Essen selbst herstellt. Kochen wird so zu einer fachlich fundierten, freudigen und heilsamen Kunst: https://stw-verlag.de/produkte/ernaehrung-und-die-gebende-kraft-des-menschen/ .

Wir alle, die wir sonst in kleinen Teams in der Küche zusammenwirken, freuten uns nun auf das Kennenlernen von italienischen biologischen Anbietern, Herstellern und Initiativen. Ein weiteres Ziel hatten wir uns gesetzt: Als internationales Team (Deutschland, Österreich, Schweiz und Holland) mit mehr oder weniger fundierten Italienischkenntnissen wollten wir alle unsere sprachlichen Kapazitäten erweitern. Das geschah die ganze Reise hindurch auf mehr spielerische Weise – in Dialogen auf der Autofahrt, in kleinen Gesprächen mit Italienern auf den Märkten und in unserem Albergo.

Unser kurzer, aber inhaltsvoller Ausflug sollte von diesen Gedanken getragen sein. Eine Frage, die uns insbesondere begleitete, war:

 

Wie kann die Ernährung für die Zukunft aussehen?

Dieser Frage wollten wir uns durch aufmerksames Wahrnehmen der Märkte und Menschen, der Waren und der Orte, die wir besuchten, annähern.

Die Reise führte zunächst auf einen kleinen biologischen Bauernmarkt in den Markthallen von Verona, dem Mercato Coperto di Campagna Amica. Eine schöne Vielfalt von Produkten wurde dort angeboten und im Laufe unseres Rundganges entwickelte sich das eine oder andere gute Gespräch – am Brotstand, bei den Olivenölprodukten, beim Gemüse, beim Käse. Ins Auge fiel die durchwegs ästhetische Darbietung der Biowaren. Wir hatten uns vorgenommen, auch das italienische Treiben, die Beziehungsaufnahme zwischen Verkäufern und Kunden zu betrachten. Durch die gedankliche Ausrichtung – das war wahrnehmbar – entsteht weniger eine reine Konsumhaltung, sondern eine Freude an Beziehungsaufnahme.

In den Gesprächen, in denen wir auch unsere Koch- und Forschungstätigkeit vorstellten, kam es schnell zum fachlichen Austausch. Warum z. B. die Olive an Wert und Aroma verliert, wenn sie entkernt wird, dass es den Beruf einer Olivenölsommeliere gibt, über das Backen mit Pasta madre und Backferment etc.

Unser Frühstück bildeten Kostproben von Antipasti, Brot, Gebäck, Käse und Früchten auf einem einladend gelegenen Tisch direkt zwischen den Markthallen und dem Fluss Etsch.

Die nächste Station war ein offener biologischer Bauernmarkt in einem Dörfchen außerhalb Veronas und dann ein kleines Cafe, in dem wir verweilten und uns intensiver einer inhaltlichen Übung widmeten. Wir bewegten den Begriff der „Ästhetik“, wie er allgemeinsprachlich gebraucht wird, welche Etymologie er hat und was er in einem tieferen seelischen und auch geistigen Sinne bedeuten könnte. Diese aufmerksame Arbeit, mit Ruhe und dann wieder Gespräch, wurde von den um uns sitzenden Gästen ein wenig erstaunt, aber durchaus positiv und anziehend wahrgenommen.

Auch die Olivenbäume in der Nähe dieses Cafes luden zum Betrachten ein.

Alle jene Inhalte, wie entsteht Beziehung zu Nahrungsmitteln, wie drückt sich Ästhetik im Kochen und Essen aus, wie kann eine heilsame Ernährungskultur entstehen, begleiteten uns den Tag. Zwischenstation machten wir in Salo am Gardasee, wo das Wasser einige von uns zu einem kurzen, frischen Bad einlud, andere zu einem Spaziergang entlang des Sees.

Die Übernachtung hatten wir in einem Agriturismo oberhalb von Salo mit Blick auf den Gardasee gebucht. Auch hier interessierte uns wieder, wie die Menschen dort leben, wie sie ihren Betrieb aufgebaut hatten, welche Wünsche und Ziele sie haben, unter welchen Schwierigkeiten sie leiden.
Der Leiter erklärte uns gleich nach der Begrüßung, dies sei ein „vero agriturismo“, ein richtiger Agriturismo, er sei ein leidenschaftlicher Landwirt. Fragen zur Käsequalität, zur Bedeutung von Rohmilchkäse, zum Qualitätsverlust von Milch und Käse, wenn sie zu hoch erhitzt werden etc. beantwortete er gerne und fachkundig.

Beim Abendessen – was eine kleine, aber vom Koch sehr gut gemeisterte Herausforderung war, da wir ein vegetarisches Gericht wünschten – trat schließlich nach einiger Zeit der Leiter der Agritur mit uns ins Gespräch und meinte: „Wenn ich Sie so sehe, ich habe den Eindruck, Sie sind alle Freundinnen und unterhalten sich ruhig aber angeregt. Was ist das für ein Projekt, in dem Sie arbeiten, das würde mich mal interessieren.“

Er hörte sich aufmerksam unsere Ausführungen zur Forschungsküche und zur Entwicklung einer heilsamen Ernährungskultur an, nahm mit großem Interesse auch zur Kenntnis, dass Menschen zur Regeneration nach Lundo und Naone kommen können und wiederholte mit sichtlicher Freude diese Gedanken im Gespräch mit seiner Frau und seinen Mitarbeitern. Natürlich begegneten wir auch wirtschaftlichen Sorgen der Menschen. Die Tatsache, dass die Anzahl von Touristen zurückgeht und die Preise für die Bewirtschaftung steigen, machen vielen Betrieben auch in der Biobranche zu schaffen.

Die traumhaft schöne Naturlandschaft mit Blick auf den Gardasee lud uns am Morgen – nach einem reichhaltigen Frühstück mit vielen hauseigenen Produkten – zum Verweilen an diesem Tisch ein.

 

Eine nächste Station unserer Rundreise am Sonntag, schon in Richtung Heimweg, war ein biologisch wirtschaftender Ziegenhof: https://www.cascinabettina.it.
Dort konnten wir Produkte von hervorragender Qualität kosten und erwerben. Und wir nahmen diese guten Milchprodukte zum Anlass, uns Fragen darüber zu stellen, wie die unterschiedlichen Milcheiweiße von Kuh, Schaf und Ziege auf den Menschen wirken.

Am Nachmittag machten wir Halt am Idrosee, ein Spaziergang in Sonne und Wind. Der Apfel war schon seit einer Woche eines unserer Forschungsthemen und – da wir nach fast schon detektivischer Suche lediglich einen einsamen, in der Ferne stehenden Apfelbaum mit einem kleinen letzten, noch an ihm verbliebenen Apfel in der Nähe des Seeufers ausgekundschaftet hatten – beschlossen wir, einen mitgebrachten Apfel als Studienobjekt zu betrachten.

Diese Übung, ein konkretes Betrachten des Apfels, dann ein gedanklicher Wiederaufbau der Frucht aus der Erinnerung und eventuell noch eine Frage, wie das Licht im und am Apfel wirkt, ist eine Bewusstseins- oder Seelenübung, die tatsächlich, wenn man sie wiederholt ausführt, ein tieferes Empfinden zu dem betrachteten Objekt (Apfel, Baum, Blume, Salat…) gedeihen lässt.

Wir traten die Heimfahrt nach Lundo an. Etwas Erstaunliches war geschehen. Drei von uns waren gesundheitlich angeschlagen am Samstagmorgen mit auf die Reise gegangen. Nun wirkten alle aufgebaut, die Krankheitssymptome klangen ab, es erfüllte uns Freude und ein dankbares Erfülltsein für alles, was wir gesehen, gedacht und gelernt hatten. Es war ein Ausflug, der außergewöhnlich harmonisch und lebendig bewegt verlaufen war. Und der in uns allen die Frage einer heilsamen Ernährung für die Zukunft, in Zusammenarbeit mit Menschen aus der Region, im Hinblick auf eine immer weiter wachsende Ernährungs- und Kochkunst, als wertvolle Kulturfrage belebte und auch künftig weiterbewegen wird.

 

1 Kommentar

  1. Sigrun Fütterer

    Danke für diesen Beitrag, für die Beschreibung dieser Reise-und Arbeitsgemeinschaft, die sich auf einen besonderen Weg gemacht hat. Das meist Unbedachte der im wahrsten Sinne des Wortes lebens-not-wendigen Ernährung, umfassend und tief aufzuspüren und zu erweitern. In wohl wunderbarer Gemeinschaft. Ansprechend auch die Form des Beitrages.
    Ich werde heute ganz sicher meine Mahlzeiten mit mehr Bewusstheit bereiten.

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