Das ist ein Motto des indischen weiblichen Gurus Mata Amritanandamayi, auch Amma genannt. Um mir ein Bild von ihrem Wirken und ihrem Darshan zu machen – darshan ist ein indischer Begriff, der bedeutet, dass eine als heilig oder verwirklicht angesehene Persönlichkeit sich ihren Schülern zeigt – besuchte ich im November 2025 die Eisbach Studios in München, wo sie sich an drei Tagen aufhielt. Ich wusste bisher nicht viel von ihr, kenne aber doch einige Personen, die sie als Meisterin oder spirituelle Führungsperson gewählt haben.
Die zwei großen Hallen des Eisbach Studios bieten Platz für meiner Schätzung nach mindestens 1500 Personen und waren an jenem Tag gut gefüllt. Im Eingangsbereich fanden sich Verkaufsstände, an einer Seite eine mobile Küche und vorne war ein großes Podium aufgebaut, auf dem zu einer bestimmten Zeit Amma erschien und Platz nahm.
Das Publikum war international, viele Deutsche, viele Englischsprachige, Inder und andere Nationalitäten. Diese in Indien und in vielen Teilen der Welt als spirituelle oder heilige Persönlichkeit verehrte Frau hat unbestritten einen sehr hohen Bekanntheitsgrad. Sicherlich ist das auch dem Umstand geschuldet, dass Amritanandamayi jeden, der das wünscht, in ihre Arme nimmt.
Ein paar Informationen hatte ich vorher schon über ihr Leben. Sehr beachtlich und würdigenswert sind ihre Hilfsprojekte im Bereich Bildung, Gesundheit, Umweltschutz, Katastrophenhilfe und Förderung von Frauen in Indien. Sie selbst stammt aus einfachen Verhältnissen, hatte eine nicht einfache Kindheit und offenbarte aber als Kind schon ihre tiefe Empathie für alle Menschen, die leiden, krank oder in Not sind. So begann sie schon in jungen Jahren damit, armen notleidenden Zeitgenossen mit ihrer Fürsorge und herzlichen Umarmung Trost und Mitgefühl zu schenken.
Eine in meinen Augen hervorragende Idee von ihr ist es auch, dass Studenten einer renommierten von ihr gegründeten Universität für einige Zeit in Elendsviertel ihres Landes gehen, um in ihren Studien Lösungen zu finden und zu integrieren, wie die herrschende Not und Armut bekämpft werden kann.
In den Eisbach Studios fiel mir sehr positiv die Küche auf, in der am laufenden Band „Masala Dosai“ und indische Snacks vor den Augen der Gäste produziert wurden. Die Küchenarbeit übernahmen verschiedene Personen, die sich für diesen Dienst, indisch „seva“ genannt, gemeldet hatten.
Nach dem Auftreten von Amma hielt sie eine Rede auf Malayalam, der Sprache, die in Kerala in Südindien, wo sie aufgewachsen ist, gesprochen wird. Vermittelt wurden Erzählungen und Begebenheiten, die aufzeigen sollen, wie Menschen Untugenden überwinden können. Eine Grundaussage des weiblichen Gurus war es, dass es für uns Menschen nötig ist, unsere Selbstsucht und Ichbezogenheit zu überwinden. Die relativ lange Rede wurde im Anschluss auf Deutsch übersetzt und auf mehreren Bildschirmen auch in englischer und griechischer Sprache gezeigt.
Danach begannen die Umarmungen. Es standen lange Reihen von Menschen an, um von Amma für kurze Zeit gedrückt zu werden. Ich schaute dem längere Zeit zu und versuchte herauszufinden, was da passierte. Auch diese Szenen wurden auf großen Bildschirmen gezeigt, so dass man Amma und die Personen, die zu ihr kamen, gut ansehen konnte.
Mir sind das indische Leben und indische Rituale nicht fremd, da ich selbst einige Zeit in Indien gelebt habe. Das kunterbunte Treiben von Verkaufsständen, Essen und Trinken, Blumen- und Feuerrituale etc. sind Teil dieser Kultur. Die Umarmungen sind jedoch ein spezifischer Ausdruck, den Amma für ihr Wirken gewählt hat.
Es kann sein, dass ich manche Personen nun befremde, wenn ich hier meine Eindrücke schildere. Sehr gut kann ich nachvollziehen, dass Amma notleidende Menschen in Indien mit dieser Geste getröstet hat und tröstet. Wenn ich sehe, wie in einer reichen Stadt wie München die Menschen sich drängen, von ihr umarmt zu werden und wenn ich insgesamt die Stimmung und die Gesichter der Menschen, auch das von Amma während der Umarmung betrachtete, empfinde ich einen bestimmten Schmerz. Sicher, man kann sagen, gerade in einer Wohlstandsgesellschaft ist die seelische Not und Unerfülltheit am größten und warum sollen die Leute nicht einen Moment der mütterlichen Wärme empfinden?
Ich beschäftige mich schon seit längerer Zeit mit dem Phänomen der Sinnsuche, des seelischen und geistigen Wachstums, der Möglichkeiten, die Persönlichkeit in einem tieferen Sinne zu stärken und auch mit Missbrauchsformen von Esoterik und Spiritualität. Es ist in meinen Augen bezeichnend, dass Amma Tausende von Menschen anzieht, die eben diese Umarmung suchen. Da wir Menschen im Westen, die wir im Vergleich zu ärmeren indischen Verhältnissen, alle doch in einem äußeren Wohlstand leben und oftmals sehr materiellen Bedürfnissen nachhängen, befremdet mich dieser von den Europäern gesuchte Umarmungskult.
Es ist wahr, wir leben in einer seelenarmen und geistverneinenden Zeit. Wer das ändern will, kann aber Wege finden, wieder zu mehr Seelenkraft, zu Inhalten, Lebensperspektiven und geistigem Gehalt in seinem Leben zu finden. Dazu muss er aktiv werden. Im Wunsch nach Umarmung durch Amma kommt mir vordergründig ein seelisches Passivsein, eine Erwartungshaltung und ein Fallenlassen entgegen und damit ein stiller Schmerz des Egoismus.
Es ist aber auch möglich, dass ein Mensch anders auf Amma zugeht, mit einem Wahrnehmen ihrer Person, einer Bitte für einen anderen Menschen oder einem Respekt vor den Werken, die sie in die Welt bringt beispielsweise. Dieser Unterschied scheint mir persönlich recht wichtig für jemanden, der nach spiritueller Entwicklung strebt.
Es steht natürlich jedem frei, wie er sein Leben und seine spirituelle Sinnsuche gestaltet. Dieses Freilassen ist auch ein Merkmal der indischen Kultur und Spiritualität. Die Frage bleibt meiner Ansicht jedoch, auf welche Weise ein Mensch wirklich in seiner Persönlichkeit und seiner Ich-Kraft wächst. Und wie er über Wege der Erkenntnis, der Entwicklung von Empathie, objektiver Beurteilungskraft, Erarbeitung und Umsetzung von Idealen, Opferbereitschaft und Arbeit zu einem gebenden, selbst Wärme ausstrahlenden Menschen wird.
„Liebe ist die Antwort, Liebe ist der Weg“ – dieses Motto von Amma kann ich nur befürworten. Der Weg hin zu einem liebesfähigen Menschen braucht meines Erachtens genau diese kontinuierliche und oft auch mühsame Arbeit an sich selbst.


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