Aus dem federleichten winzigen Karottensamen wächst die Karotte heran. Sie ist ein Wurzelgemüse, das sich ganz in die Erde hineinarbeitet und über das üppige, feingeästelte Grün das Licht der Sonne empfängt. Es mag verwundern, wie leuchtend orange dieses Gemüse ist, obwohl es doch ganz in der Erde vergraben wächst.
Ein kurzer Ausflug in die Bedeutung des Wortes „Wurzel“ – aus dem althochdeutschen „wurzala“ entwickelt es sich in der Zeit von 1050 bis 1350 zum Wort „wurzel“. Es bedeutet „das Gewundene“ und steht in engem Zusammenhang mit den Verben „wallen, rollen, drehen, wälzen, sprudeln, bewegt sein und fließen“. Vertieft man sich in das Wachstum der Karotte, so werden diese Begriffe wirklich bildhaft lebendig. Die wachsende Wurzel arbeitet und dreht sich in die Erde hinein.
Bei der Betrachtung der Karotte, insbesondere, wenn man eine Scheibe abschneidet und gegen das Licht hält, fällt eine starke und gleichmäßige Zentrierung ins Auge. Und tatsächlich liegt in dieser zentrierenden Kraft auch eine Heilwirkung der Wurzel, die den Menschen in seinem Denken, seiner Kraft zu Konzentration und Klarheit im Kopf unterstützt. Eine überaus anschauliche und tiefgehende Betrachtung zu den Wurzelgemüsen, die die feinstofflichen Lebenskräfte der Pflanze in Beziehung zu ihrer Umgebung und den kosmischen Einflüssen einbezieht und auf die ich mich hier beziehe, finden Sie in dem Buch des Autors und spirituellen Lehrers Heinz Grill. Es trägt den Titel „Ernährung und die gebende Kraft des Menschen“ und die Karotte ist im Kapitel „Das Wesen der Wurzel“ dargestellt.
Mit diesen bildhaften Vorstellungen zur Karotte kann ich als Koch oder Köchin nun zur Tat schreiten und ein Karottengericht gestalten. Als erstes überlege ich mir die Form. Heute möchte ich sie der Länge nach in dünne ovale Scheiben schneiden. Nach diesem Schritt brate ich sie in etwas Olivenöl in der Pfanne und würze mit sehr fein geschnittenem frischen Ingwer oder Ingwerpulver. Eine harmonische Ergänzung erhält das Gericht durch grob gemahlenen Koriander. Salz gebe ich gleich zu Beginn des Bratprozesses hinzu.
Das Stehen vor der Pfanne am Herd, wo das Nahrungsmittel durch Hitze eine intensive Verwandlung erfährt, das ruhige Wenden und Beobachten ist ein wesentlicher Teil der schöpferischen Kochpraxis. Was geschieht nun? Dämpfe steigen auf, die Farbe und Konsistenz der Karotte ändert sich leicht mit der Bratzeit, die Gewürze ziehen in die Wurzel ein und durchwirken sie mit ihren Aromen. Ganz besonders interessant ist es, den idealen Zeitpunkt zu bestimmen, wann ein Gericht fertig ist, also nicht mehr zu bissfest, aber auch nicht zu weich gekocht. Mit etwas Aufmerksamkeit ist dieser ideale Zeitpunkt leicht zu finden. Kurz bevor ich die Karotten aus der Pfanne nehme, gebe ich noch eine kleine Menge gehackter Walnüsse hinzu. Diese ergänzen den harmonisch süßen, durch Koriander leicht herben und durch den Ingwer etwas zitronig-säuerlichen Geschmack mit einer feinen, zusammenziehenden Bitternote.
Das Gericht ist nun fertig komponiert. Die ruhige Vorstellung vor dem Kochvorgang – wie soll die Form sein, wie die Gewürze, wie die Konsistenz, wie soll das Gericht uns auf dem Teller entgegenleuchten? – all diese aufmerksamen Vorgänge im Bewusstsein begleiten den Kochprozess. Dieser verläuft ruhig, ohne Hektik, mit Interesse und Freude am Gestalten und nicht in gedankenloser Eile oder mentaler Abwesenheit. Der Kochprozess wird zu einer schöpferischen, künstlerischen und heilsamen Tätigkeit, die schließlich auch den Menschen, für die wir das Essen bereiten, zugutekommt.
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