Zur Frage der Gewalt – Nachdenken über Aussagen von Krishnamurti
Nun ein paar Gedanken zu Krishnamurtis Haltung gegenüber Gewalt, die er in dem von Stefan erwähnten Buch „Einbruch in die Freiheit“ herausarbeitet.
An den Anfang meiner Überlegungen muss ich die Einsicht stellen, dass ich mir nicht schnell eine Meinung zu seinen Darstellungen und seiner Person bilden kann, denn er ist eine Persönlichkeit, die ein äußerst ungewöhnliches Leben hatte und ich müsste mich in sein Denken und warum das so ist noch weiter vertiefen. Ich versuche trotzdem einmal eine erste Annäherung:
In dem Kapitel „Gewalt“ schreibt er unter anderem, dass es nötig sei – für den, der das will – das Phänomen der Gewalt richtiggehend zu erforschen. Weiterhin seine Erkenntnis, dass Gewalt in jedem Menschen existent ist: „Es muss mir völlig klar sein, dass ich ein gewalttätiger Mensch bin. Ich habe Gewaltsamkeit und Heftigkeit in meinen Gefühlsregungen erlebt – im Ärger, in sexuellen Wünschen, im Hassen, indem ich Feindschaft schuf, in der Eifersucht und so fort. Ich habe sie erfahren, ich habe sie kennengelernt, und ich sage zu mir: „Ich möchte dieses ganze Problem verstehen, nicht nur ein Bruchstück, wie zum Beispiel den Krieg, sondern diese ganz Aggression im Menschen, die auch in den Tieren vorhanden ist, von denen ich ein Teil bin.““
Er schreibt weiter, wie Stefan schon in seinem Beitrag erwähnt hat, dass Gewalt sehr subtil ist und auch in einem harten Wort oder einer Geste leben kann. Und schließlich kommt er zu der Folgerung, die ich als Zitat wiedergeben möchte:
„Wenn Sie sich als Inder oder Moslem oder Christ oder Europäer oder irgendetwas anderes bezeichnen, sind Sie gewalttätig. Erkennen Sie, warum es so ist? Weil Sie sich von der übrigen Menschheit isolieren. Wenn Sie sich durch den Glauben, durch Nationalität, durch Tradition absondern, wird dadurch Gewalt erzeugt. Ein Mensch, der die Gewalt zu verstehen sucht, darf keinem Land, keiner Religion, keiner politischen Partei oder einem besonderen System angehören. Für ihn ist es allein wichtig, das Menschengeschlecht völlig zu verstehen.“
Mir geht es bei der Lektüre so, dass ich eine tiefe Betroffenheit des Autors gegenüber dem Phänomen der Gewalt, die sich auch in Kriegen entlädt, erlebe, beispielsweise wenn er sagt: „Ist es denn für Sie bedeutungslos, dass Ihre Kinder getötet werden, dass Ihre Söhne in die Armee eintreten, wo sie drangsaliert und hingemordet werden? Macht Ihnen das gar nichts aus? Mein Gott, wenn Sie das nicht interessiert, wofür interessieren Sie sich dann?….“
Er betont die Notwendigkeit, Gewalt zu erforschen und er kommt zu einigen Überlegungen, die ich nachvollziehen kann, zu anderen, die ich persönlich anders sehe.
Er betont zum Beispiel, dass er sich für den Zorn und die Gewalttätigkeit der Welt verantwortlich sieht. Dieses Verantwortungsgefühl führt dazu, dass ich unbedingt dem Phänomen auf den Grund gehen will, worin ich eine sehr gute Basis für eine weitere Entwicklung sehe. Denn wie soll ich ein freier Mensch sein, wenn ich nicht verantwortlich bin, wenn ich mich herausnehme aus dem Zeitgeschehen und sage, dass die Kriege ja andere machen, nicht ich? Und die Freiheit, so klingt es in diesem Buch Krishnamurtis an, ist ihm das höchste Gut und für die Freiheit des Menschen setzt er sich in seinem ganzen Lebenswerk ein. Dazu gehören auch Freiheit von Traditionen und gesellschaftlichen Normen. Das halte ich schon für etwas sehr Nachdenkenswertes, denn wie viel Leid entsteht oft, wenn ich als Mensch mich dem Druck der Gesellschaft beuge, dem Wunsch der Eltern (z.B. einen bestimmten Beruf zu ergreifen, den Betrieb zu übernehmen), obwohl ich meine eigene Bestimmung woanders sehe.
Auch seine Überlegung, dass man dem eigenen Ärger sachlich gegenüberstehen sollte und ihn nicht verurteilen sollte hat einen Wert, denn nur aus einer objektiven, unverwickelten Sicht kann ich frei die Phänomene verstehen und vielleicht einmal übersteigen.
Zu drei Aspekten, die er in dem Kapitel über Gewalt schildert, habe ich eine andere Sichtweise. Zu dem, was er über Nationalität etc., siehe oben, schreibt, zu seiner Ansicht gegenüber Idealen und der Bedeutung von Gedanken.
Ich gehe davon aus, dass es eine Bedeutung hat, in welches Land ich geboren werde. Ich gehe sogar davon aus, dass das mein seelischer Wunsch ist, dass ich mir die Bedingungen meiner Inkarnation selbst aussuche – wer mit dem Gedanken der Reinkarnation nichts anfangen kann, dem will ich an dieser Stelle auch nichts einreden, es kann jeder zu seinen eigenen Erkenntnissen kommen. Eine bestimmte Nationalität zu haben, in eine Glaubenstradition hineingeboren zu sein, das bedeutet ja auch Auseinandersetzung. Spätestens wenn ich erwachsen bin, kann ich neue Wege beschreiten. Und ich möchte betonen, dass es ja nicht nur negativ ist, in einem bestimmten Land aufzuwachsen, sondern in jedem Land und jeder Nationalität ja auch besondere, hervorragende Qualitäten vorhanden sind. Diese unterschiedlichen Qualitäten kennenzulernen, z.B. auf Reisen oder indem man auch in anderen Ländern einmal arbeitet, das finde ich sehr prägend, berührend und den Horizont weitend. Es kann durchaus den Frieden fördern. Und meine Erfahrung ist, dass ich etwas in mir trage, das natürlich mit meiner Herkunft zu tun hat, deutsche Pünktlichkeit :), den Wunsch zu denken und Dinge zu hinterfragen, geistige Werte in meiner Kultur und kulturschaffenden Persönlichkeiten zu sehen und wertzuschätzen. Und andere Länder haben sehr tief Gastfreundschaft, Empathiefähigkeit, ein verbindendes Wesen, Beziehungsfähigkeit, tiefe Glaubenskraft, Herzenstiefe, künstlerische und intellektuelle Fähigkeiten …. hervorragend ausgeprägt, über die ich nur staunen kann und von denen ich lernen kann. Anders als Krishnamurti sehe ich die verbindende Aufgabe und Tätigkeit als hervorragend an, eben weil ich eine bestimmte nationale, religiös geprägte etc. Individualität bin.
Ideale: Krishnamurti hält sie für der Entwicklung zur Freiheit und Gewaltfreiheit hin als Hindernisse. Einerseits kann ich ihn verstehen, wenn er sagt, das Ideal der Nichtgewalt, das manche Menschen pflegen, ein Ideal, zu dem sie Zuflucht suchen, kann sie nicht von der Gewalttätigkeit befreien. „Wir haben Ideale ohne Zahl gehabt, alle heiligen Bücher sind voll davon, doch wir sind weiterhin gewälttätig.“ Andererseits lehrt uns manche hervorragende Persönlichkeit, dass ein Ideal, wenn es mit allen Konsequenzen durchgetragen wird, schauen wir nur auf Mahatma Ghandi, die Welt verändern kann und Menschen und Länder tatsächlich zu einer größeren Freiheit und Souveränität führen kann. Wie beschäftige ich mich denn mit heiligen Büchern und heiligen Persönlichkeiten? Wenn wir in unserer Zeit das gar nicht mehr machen, weil es uns zu anstrengend ist oder wir seelische und geistige Werte und Gesetze ablehnen, dann bleibt ein Ideal natürlich etwas Aufgesetztes und kann unsere Person nicht in eine grundlegende Verwandlung führen.
Und schließlich noch das Denken. Krishnamurti schreibt als ersten Satz des Kapitels über Gewalt:
„Furcht, Freude, Leid, Denken und Gewalttätigkeit haben einen inneren Zusammenhang.“
Ich kann nicht sehen, warum Denken, Nachdenken, einen Gedanken in der Meditation pflegen in irgendeiner Weise mit Gewalttätigkeit in Verbindung stehen sollte. Vielmehr sehe ich in der Fähigkeit des Denkens die beste Möglichkeit zu Freiheit und Gewaltfreiheit zu gelangen. Aber natürlich braucht auch das Denken eine Schulung und sollte nicht mit dem Intellekt verwechselt werden. In der Gegenwart lerne ich ein solches Denken in Werk und Person des geistigen Lehrers Heinz Grill kennen. Auch Rudolf Steiner war ein großartiger Denklehrer. Und Menschen, die sich um Wahrheit in Wissenschaft und Journalismus bemühen, sind ebenfalls beste Denker.
Das Buch von Krishnamurti ist ein anregendes Buch mit dichten und tiefen Inhalten. Mit Inhalten, über die man wirklich nachdenken kann und die zum Austausch im Hinblick auf eine friedlichere Welt von großem Wert sind. Und ebenfalls mit dem Aufruf, nicht die Hände in den Schoß zu legen, sondern selbst etwas zu tun. Dies betont Krishnamurti in seinem Werk immer wieder Ich danke Stefan für die Anregung und verbleibe in der Hoffnung, dass mancher Leser sich davon angesprochen fühlt und selbst weiterdenken will.
Ein herzlicher Gruß
Maria