#6817
Maria
Administrator

    Lieber Stefan, liebe Leser,

    ich bin noch nicht zum Lesen des Buches gekommen, möchte aber zu einigen Gedanken von Stefan schon mal was schreiben. Laut Krishnamurti, wenn ich es richtig verstehe, kann allein das Zugehörigsein zu einer Religion, einer politischen Partei, einer Nationalität die Basis für Unfrieden legen. Könnte es nicht sein, dass dies lediglich der Fall ist – der aber häufig eintritt – wenn ich diesen Bereich dann so stark und heftig vertrete, dass ich die Augen und das Herz nicht mehr wirklich offen habe, und den anderen und seine Religion und seine Nationalität und politische Haltung nicht ansehe und mir Gedanken darüber mache? Und könnte es nicht sein, dass eine Person, die beispielsweise im Christentum tief gegründet ist, eben deshalb, weil sie so tief gegründet ist, die Liebe und den Kern aller Religionen erkennt, wertschätzt und dadurch eine umso verbindendere Kraft entfaltet?

    Zwei Persönlichkeiten, die mir dazu einfallen. Bede Griffiths, ein ehemaliger englischer Benediktinerabt, der ab der zweiten Hälfte seines Lebens nach Indien ging und bis zu seinem Lebensende im südindischen Tamil Nadu den Shantivanam Ashram leitete, belebte und beseelte. Ergebnis seiner unermüdlichen Gottessuche war eine sehr große Liebe zu den Menschen und die Erkenntnis der Einheit der Religionen und der Unteilbarkeit des Geistes. Im tiefsten Inneren war er im Christentum gegründet, sehr belesen, sehr lebendig denkend und forschend zu den Evangelien und er schaffte es, durch tiefe gelebte Anerkennung u.a. des Hinduismus und seiner Gebräuche, Menschen aus allen Religionen anzuziehen und zu verbinden.

    Weiter ist der Name des Schweizer Historikers Daniele Ganser wohlbekannt. Seine wissenschaftliche Auseinandersetzung wie Kriege entstehen – er nennt in seinen Büchern und Vorträgen stets das Kind beim Namen – deckt gut auf, wo unethische und unmenschliche Tätigkeiten herrschen, ebenfalls dass der Kampf um Macht und Gier nach Bodenschätzen einen wesentlichen Teil der Kriege ausmachen. Aber das, was er macht, würde ich nicht als Urteilen sehen, sondern als Aufklärung und Suche nach Wahrheit. Seine wissenschaftliche Tätigkeit fûhrt ihn dazu, in seinen Vorträgen von einer “Menschheitsfamilie” zu sprechen, an die wir uns stets erinnern sollten. Ich finde auch seine Interaktion mit dem Publikum interessant, ich finde, er hat die Gabe des Nicht-Urteilens, eine aufnehmende Art, eher -obwohl er knallharte Fakten benennen muss- eine freundliche, weiche Wesensart.

    Du schreibst “Zugehörigkeit hat die Folge, dass wir trennen. Hier sind wir und dort die Anderen”. Ich denke das ebenso. Gleichzeitig glaube ich auch, dass dann, wenn ich über mich hinausblicke und den Anderen wirklich ernstnehmen will, die gebundene Zugehörigkeit zurückweicht und ich immer bereit sein kann, einen neuen Standpunkt zu entwickeln.
    Das ist eine Riesenarbeit, das sehe ich wie du, es erfordert schon die Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen und die eigene Lebensausrichtung immer wieder zu prüfen und neu zu gestalten.

    Zum Ärgern noch eine Bemerkung: Kann nicht manchmal ein gesunder Ärger erfrischend und aufbauend sein? Wenn ich vom Ärger einer Person betroffen bin, weil es tatsächlich etwas gibt, was den Anderen zum Ärger veranlasst, dann habe ich das auch manchmal schon so erlebt, dass nachher die Luft reiner ist. Wesentlich ist wahrscheinlich, ob ich den Anderen insgesamt klein machen machen will, ihn zerstören will oder ob so ein “Argerausbruch” letztendlich mich selbst doch fördern will, mich in meiner Person nicht antastet. Ich weiß nicht, ob ihr das kennt, ich kenne es auch so. Natürlich auch anders. Und generell scheint mir schon um des Friedens willen ein bestimmter Grad an Selbstbeherrschung förderlich.

    Mit herzlichem Gruß

    Maria (Krishnamurti kommt noch….)